In der nördlichen Chorwand hat sich „St. Reinolds raste” (St. Reinolds Ruhestatt) erhalten, das steinerne Reliquienhaus , in dem Jahrhunderte lang fast exklusiv die sterblichen Überreste des hl. Reinold in mehreren Reliquiaren aufbewahrt wurden. Doch der von katholischer Seite verehrte Körper des Heiligen befindet sich schon seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr in der Stadt. Lediglich die katholische Propsteikirche birgt seit 1982 ein Knochenstück des Heiligen, das anlässlich der 1100-Jahrfeier-Ausstellung nach Dortmund zurückkam.
Die Figur des Reinold führt in zweifacher Weise in das frühe Mittelalter zurück. Zum einen ergab die 1982 durchgeführte naturwissenschaftliche Untersuchung des Skeletts des als heiligen Reinold verehrten Mannes, eine Lebenszeit dieses Mannes um 600 oder in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts. Zum anderen lässt sich die sagenhafte Figur des Reinold in die karolingische Zeit zurückverfolgen und findet sich zuerst in der mittelalterlichen französischen Dichtung (als Renaut de Montauban). Durch mündliche Inszenierung, Textabschriften und Übersetzungen wurde der Erzählstoff um den Sagenhelden Reinold weitertradiert und gelang so nach ganz Europa. Die niederländisch-deutsche Fassung „Die vier Haimonskinder” schildert seine Geschichte so:
Reinold, einer der vier Söhne Haimons und Neffe Karls des Großen, flieht nach einem Streit mit dem König zusammen mit seinen Brüdern auf dem riesenhaften Pferd Bayard. Er dient verschiedenen Königen, kämpft gegen die Heiden und errichtet in der Gascogne seine Burg Montalban. Auf dieser halten die Haimonsbrüder sieben Jahre lang der Belagerung König Karls stand, fliehen wiederum auf dem Pferd Bayard, bis schließlich ihre Mutter den Frieden mit Karl vermittelt. Der König lässt das Pferd ertränken, worüber Reinold so traurig wird, dass er dem Ritterleben entsagt und als Pilger ins Heilige Land zieht. Nach seiner Rückkehr lebt er als Mönch im Kölner Kloster St. Pantaleon und arbeitet als Steinmetz am Bau des dortigen Domes mit. Seine Kollegen nennen ihn „St. Peters Werkmann”, da er seinen Namen nicht preisgibt und erschlagen ihn aus Neid über seine Strebsamkeit mit einem Hammer. Seine Leiche werfen sie in den Rhein. Eine kranke Witwe wird gesund, als sie auf ein Gotteszeichen hin, den Leichnam entdeckt und birgt. Auf dem Gürtel lesen die dazugeholten Kirchenoberen Kölns den Namen: „Reinold von Montelban”. Als die Dortmunder davon hören, bitten sie den Kölner Erzbischof vergeblich um die Reliquien des Reinold in dessen Namen sie ihre neue Kirche bauen wollen. Als man Reinold auf einen Karren legt, setzt sich dieser selbstständig in Bewegung und fährt nach Dortmund, wo man Reinold eine Kirche baut. König Karl erfährt von dem Mord, belagert Köln, tötet die Mörder und will sich in Dortmund Reinold zeigen lassen. Doch als ihm sein Grab geöffnet wird, ist es leer. Karl kehrt betrübt nach Hause zurück und dient Gott bis zu seinem Tode. So bleiben die Reliquien in Dortmund.
Der letzte Lebensabschnitt Reinolds als Mönch in Köln ist maßgeblicher Bestandteil auch der Legende des heiligen Reinold. Als Festtag etablierte sich der 7. Januar, der als Tag der Translation seiner Gebeine von Köln nach Dortmund gehalten wurde. Wann diese stattfand, ist bis heute nicht geklärt. Einiges spricht für eine Überführung unter Erzbischof Anno von Köln (1056-1075).
Die kultische Verehrung dieses nie offiziell kanonisierten Heiligen beschränkte sich im Gegensatz zur weitverbreiteten Erzähltradition der Sage, im Wesentlichen auf Dortmund, Köln und die osteuropäischen Hansestädte, wie Danzig (Gdańsk), Thorn (Toruń) oder Reval (Tallinn), wohin Reinold von den Dortmunder Kaufleuten „exportiert” wurde.
Die Dortmunder Bürgerschaft machte ihn zum Stadtpatron und Patron der Hauptpfarrkirche. Als solcher wirkte er durch seine körperliche und spirituelle Anwesenheit als repräsentativer Schutzherr. In seiner Gefolgschaft bildete sich die Dortmunder Bürgerschaft als politische und sakrale Gemeinschaft aus. Das große Standbild in der Reinoldikirche zeigt beispielhaft und identitätsbildend den ritterlichen Reinold, der die Bürgerschaft Gott präsentiert und vor irdischen Feinden beschützt. So berichten die Dortmunder Chronisten für das Jahr 1352, dass Reinold einen nächtlichen Anschlag auf die Stadt vereitelte, indem er den schlafenden Turmwächter weckte und ihm die Feinde mit heller Flamme zeigte. 1377 stieg er selbst auf die Stadtmauer und fing die feindlichen Kugeln mit der Hand ab. Die Dortmunder dankten ihm seine wehrhafte Hilfe u.a. in jährlichen Prozessionen, bei denen sie seine Reliquien durch die Stadt zu den verschiedenen Kirchen, d.h. zu den dortigen Heiligen und Gläubigen trugen und seine Anwesenheit damit im Stadtgebiet markierten.
Als Ritterheiliger, mit christlich-sagenhaften Wurzeln im Umkreis Karls des Großen, prägte Reinold auch die gesamten Rolandbildnisse (vgl. z.B. den Roland vor dem Rathaus in Bremen, das 2004 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde). Ruhestatt und Wirkungszentrum des wundertätigen Helfers in der Reinoldikirche wurden darüber hinaus ein Wallfahrtsort.
Als Kirchenpatron war Reinold im Mittelalter ein Rechtssubjekt in vollem Sinne: Er besaß regelrecht seine ihm geweihte Kirche, in der er durch seine Reliquien körperlich anwesend war. So konnte man ihn z.B. als Zeugen anrufen, indem man auf seine Reliquien Verträge abschloss.
1378/79 waren Reliquien des hl. Reinold das kostbarste Geschenk, das die Freie Reichsstadt Dortmund ihrem obersten weltlichen Herrn, Karl IV. und seiner Frau Elisabeth machen konnte: Als diese die Stadt besuchten, schenkte der Rat ihnen einige Knochen des Stadtpatrons Reinold sowie dessen Lebensbeschreibung. Reinold wurde somit auch in Prag zu einem Anwesenden, indem seine Reliquie auf die Burg Karlstein kam.
Nach der Reformation in den meisten Pfarren Dortmunds blieben die Reliquien sowie die bildlichen Darstellungen Reinolds in der Reinoldikirche vor Ort. Erst 1614 wurden sie von protestantischer Seite aus Sorge vor einem Zugriff der Gegenreformatoren in einem geheimen Akt verschenkt. Sie gelangten in einer Holzkapsel samt Urkunde, die die Echtheit der Reliquien bestätigt, durch mehrere Hände schließlich an den Erzbischof von Toledo. Dort werden sie noch heute in der Kathedrale verwahrt.
Schrein und Büstenreliquiar blieben in der Reinoldikirche, bis deren Kirchmeister sie aus Geldmangel rund 100 Jahre später, 1792, öffentlich versteigerten. Die beiden Reliquiare wurden im Ganzen oder stückweise angeboten, wobei ihr Wert sich aus dem Gewicht ergab: Reinold war in dieser Zeit offensichtlich aus dem städtischen religiösen oder historischen Bewusstsein verschwunden. Erst das 19. Jahrhundert entdeckte ihn wieder.
Im Ersten Weltkrieg sollte ein profanierter Reinold als Roland Dortmund beschützen – es wurde ein „eiserner Reinold” am Rathaus aufgestellt, in den man nach einer Spende für die Kriegsrüstung, einen Eisennagel schlagen konnte.
1982 wurden anlässlich der 1100-Jahrfeier-Ausstellung in Dortmund auch die Reinold-Reliquien aus Toledo ausgestellt. Ein Unterschenkelteil ist seitdem in der katholischen Propsteikirche geblieben und ruht dort in einem neuen Reliquiar im Hochaltar.